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Die Systemische Prüfung Teil 1: Wie können sich Prüfer aus dem blinden Fleck der „sicheren“ Checkliste herausmanövrieren?
Weiterbildung / 8. November 2017
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Dr. Petra Haferkorn prüft seit 20 Jahren Risikomodelle von Banken und Versicherungen. Sie ist derzeit bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in der Versicherungsaufsicht tätig. In ihrer Dissertation hat sie eine Systemtheorie der Prüfung entworfen (Haferkorn, P. (2010): Systemische Prüfungen. Heidelberg, Carl-Auer Verlag). Dr. Petra Haferkorn ist an der Frankfurt School of Finance & Management Dozentin für die Themen "Komplexe Themen prüfen" und "Best-Practice-Standards und -Modelle der Internen Revision". Mit ihren Seminaren bildet sie Experten der Internen Revision im berufsbegleitenden Studium zum "Certified Audit Professional (CAP)" aus.

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Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst der Unterschied zwischen einer Systemischen Prüfung und einer Systematischen Prüfung klar definiert sein. Die Systematische Prüfung ist das, was die Interne Revision bewährt einsetzt. Für weitgehend bekannte Prüfungsfelder werden als hilfreich erkannte Leitfragen, Prüfungskennziffern und Checklisten systematisch, also einem Plan folgend, konsequent und streng normativ eingesetzt. Schließlich gibt es ein klares Soll und die Interne Revision weiß überwiegend, worauf es in diesen Prüfungsfeldern ankommt. Die Systemische Prüfung empfiehlt sich als anderer, produktiver Prüfungsansatz.

Das Neue daran ist: In ihr nimmt der Prüfer eine Haltung der Unwissenheit ein. Er hinterfragt den aktuellen Fokus der Organisation/Finanzakteure und misstraut deshalb sicher Geglaubtem. Warum setzt er sich und die Prüfungspartner der Unsicherheit aus? Die Systemische Prüfung weiß selbstverständlich um die unvorhersehbaren Brüche/Risiken des Finanzsektors (Systemische Risiken) und die Disruptionen des technischen Umfelds, die die beteiligten Finanzakteure vor eine große Herausforderung stellen1. Um das immense Innovationstempo auf den Finanzmärkten und der Technik in den Griff zu bekommen, müssen sich Organisationen, Prüfer und Aufsichtsbehörden schnell über die jeweiligen Entwicklungen der Finanzwirtschaft und ihrer womöglich schädlichen Konsequenzen im Klaren sein, damit sie den entstehenden Krisen frühzeitig und effektvoll entgegenwirken können2. Dieser Dynamik werden Prüfer nur gerecht, wenn sie die Veränderungen hellwach begleiten und die Funktionsweise der Organisationen im Finanzsystem verstehen, um deren Handlungen dann kritisch zu hinterfragen. Die Systemische Prüfung fokussiert deshalb auf die Wechselwirkungen einer Organisation mit ihrem Umfeld und überprüft fortwährend, ob der Prüfungsausschnitt zu eng oder zu weit gefasst ist und welche Auswirkungen der veränderte Fokus auf die betrachteten Prozesse hat.

Die Systemische Prüfung steht vor großen Herausforderungen

Bei instabilen Verhältnissen bzw. bei einem instabilen Umfeld bezweifelt die Systemische Prüfungstheorie die Effektivität normativer Prüfungen, bei der ein unabhängiger und objektiver Prüfer eine statisch festgelegte Checkliste „abhakt“. Damit ist jedoch keine Kritik an den existierenden Prüfungsstandards verbunden. Vielmehr erweitert die systemische Prüfungstheorie das bisherige Blickfeld der Theoretiker auf das Spannungsfeld, in dem sich Prüfer bewegen: Wie können Prüfer unabhängig bleiben, obwohl sie von den Aussagen der geprüften Organisations­einheit abhängig sind? In wie weit kann ein Prüfungsbericht über die geprüfte Organisationseinheit überhaupt objektiv sein und wie kann eine gewisse Objektivität erreicht werden? Warum können Prüfer für die Qualität der Prüfung verantwortlich gemacht werden, wenn sie Prüfung und Prüfungsgespräche nur begrenzt steuern können, weil zum Beispiel die befragte Organisationseinheit die Auskunft verzögert?

Der Systemische Ansatz findet eine Antwort auf die oben stehenden Fragen, indem er die neue soziologische Systemtheorie als konsistente theoretische Grundlage heranzieht. Diese bietet mit ihrer Theorie der Kommunikationssysteme gleichzeitig die Grundlage für eine Theorie der Prüfung. Prüfungen sind demnach soziale Systeme, eine Einschätzung, die konform mit der Beobachtung einhergeht, dass sie vornehmlich aus einem gesellschaftlichen Kontrollbedürfnis heraus entstehen. Diese theoretische Fundierung/Basis ermöglicht erstmalig einen Vergleich verschiedener Prüfungsansätze. Das Prüferteam wird damit in die Lage versetzt, für seine aktuellen Bedürfnisse einen geeigneten Ansatz auswählen zu können.

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1 vgl. hierzu Jöstingmeier Marco: Die Politik der Krise, 2012

2 vgl. hierzu Kette, Sven: Bankenregulierung als Cognitive Governance, 2008

Dieser Blog wird fortgesetzt:

Teil 2: Anders prüfen – systemisch prüfen!

Teil 3: Wie wirkt sich die Systemische Prüfung auf die Prüfer aus?

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