Mit der Digitalisierung haben sich die Rahmenbedingungen für Führungskräfte entscheidend geändert. Das Internet durchdringt alle Bereiche des menschlichen Lebens. Es verändert dabei grundlegend Gesellschaft, Ökonomie und Kultur, u.a. durch die zunehmende Vernetzung. Konnektivität ist demnach nicht nur ein technologiegetriebener, sondern vor allem auch ein sozialer Prozess.
Aber nicht nur Menschen vernetzen sich, sondern auch Dinge. Über das Internet der Dinge, Maschine-zu-Maschine-Kommunikation und Produktionsstätten, die immer intelligenter werden, wird die vierte industrielle Revolution, Industrie 4.0, eingeläutet. Je mehr Abläufe in der Wirtschaft digitalisiert und vernetzt werden, desto mehr Schnittstellen entstehen zwischen verschiedenen Akteuren. Durch die Sammlung und Verbindung von Informationen aus unterschiedlichsten Quellen entstehen so immer größere Datenmengen, die für die Unternehmensführung eine Rolle spielen.
Diese Entwicklung treibt die Komplexität, wie sich in dieser Formel zeigt:
Viele Teilnehmer (Knoten)
+ steigende Koppelungsdichte (Konnektivität)
+ hohe Spontanaktivität (Aktivierung)
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= erhöht die Wahrscheinlichkeit der Entstehung nichtlinearer Effekte (Hypes)
Über soziale Netzwerke kann ein Großteil der Menschheit miteinander verbunden werden. Die Menschen stellen dabei die Knoten in einem Netz dar und können ohne großen Aufwand spontan Informationen miteinander teilen. Hierfür genügt meist ein „Like“, ein Klick oder ein Kauf an der Börse. Finden Informationen Resonanz im Netzwerk, können sie zu Trends werden, die zu Hypes führen können. Die Verbreitung solcher Hypes erfolgt nicht linear, sondern häufig exponentiell.
Im Finanzbereich kann man Hypes an der Börse beobachten. So rechtfertigen beispielsweise die fundamentalen Rahmendaten von Tesla in keiner Weise den derzeitigen Börsenwert. Die Investition in Tesla ist eine Wette auf die Zukunft – kommunikativ eng verbunden mit den Statements von Elon Musk in den sozialen Medien. Seine Verkündigungen führen regelmäßig zu starken Schwankungen des Aktienkurses. Einzelne Informationen können große Auswirkungen im Netzwerk entfalten, während andere wenig bis keinen Einfluss haben. Welche Informationen zu einem Hype führen, ist dabei schwer bis gar nicht vorherzusagen.
Mit zunehmender Nichtlinearität und Vernetzung steigt die Komplexität, während die Planbarkeit von Ereignissen abnimmt und langfristige Vorhersagen fast unmöglich macht. Welche Führungskraft traut sich noch ernsthaft vorherzusagen, wie das eigene Geschäftsfeld in 10 oder 15 Jahren aussieht? Oder welche technologischen Entwicklungen den eigenen Markt beherrschen werden? Egal ob Auto- oder Pharmaindustrie, Maschinenbau oder Dienstleistungssektor, für keine Branche kann vorhergesagt werden, wie die technologische Entwicklung konkret verlaufen wird.
Planung ist eine Kernaufgabe von Führung, vor allem im Finanzbereich. Langfristige Investitionen kann man nur sinnvoll mit einer Vorstellung davon tätigen, wie sich Absatzmärkte, Produktionskosten und zugrundeliegende Technologien entwickeln werden.
Für den Finanzbereich und das Controlling ist dies eine große Herausforderung. Es muss mit immer größeren Datenmengen und komplexeren Modellen operiert werden. Gleichzeitig nimmt die Prognosekraft der eigenen Vorhersagen aufgrund vieler unbekannter Faktoren rapide ab.
Komplexität wird so zu einer der zentralen Herausforderungen von Führung. Im Austausch mit Entscheidern und Führungskräften in Unternehmen ist immer wieder zu hören, dass man „auf Sicht segle“. Wenn Führungskräfte aber nur noch auf Sicht segeln können, fällt eine zentrale Aufgabe weg: die langfristige strategische Planung. Um ein Unternehmen und Mitarbeiter/innen in die richtige Richtung zu führen, muss eine Führungskraft jedoch wissen, wie sich das eigene Geschäftsumfeld entwickeln wird.
Künstliche Intelligenz kann hier ein wichtiger Teil der Lösung sein. Gerade im Finanzbereich hilft sie, immense Datenmengen, die durch Vernetzung entstehen, sinnvoll zu verarbeiten und auszuwerten. Auf künstlicher Intelligenz beruhende Prognosemodelle sind durch selbstlernende Algorithmen dazu in der Lage, sich eigenständig immer weiter zu verbessern. Große Datenmengen sind für sie nicht problematisch, sondern hilfreich und können dazu beitragen, Komplexität überschaubarer zu machen. Führungskräfte im Finanzbereich müssen sich mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzen, um sie sinnvoll nutzen zu können. So lässt sich der Nebel in Bezug auf die Unternehmensentwicklung etwas lichten.
Co-Autor: Prof. Dr. Mike Schulze ist Vizedekan und Professor für Controlling, Rechnungswesen und Finanzmanagement an der CBS International Business School sowie Dozent an der FS.