Artificial Intelligence (AI), Machine Learning (ML) und Robotic Process Automation (RPA) – Begriffe, die im aktuellen Umfeld des Finanzsektors allzu häufig verwendet werden, wenn es um Maßnahmen zur Prozessoptimierung, Kosten- und Zeitersparnis geht. Die Forderung nach den neuesten technologischen Entwicklungen bestimmt seit geraumer Zeit den Markt. Insbesondere im Bereich der Bekämpfung von Finanzkriminalität plädieren Fachexperten für den Einsatz o.g. Technologien. Doch welche Herausforderungen bringt der Einsatz von künstlicher Intelligenz mit sich? Wie steht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu diesem Thema und welche potenziellen Auswirkungen könnte dies am Ende des Tages für die operative Compliance zur Folge haben? Mit diesen Fragen gilt es, sich kritisch auseinanderzusetzen.
Vor der Implementierung von künstlicher Intelligenz in den Monitoring- und Screeningtools gilt es, entsprechende Grundlagen in der technologischen Infrastruktur des jeweiligen Hauses zu schaffen. Ein wesentlicher Bestandteil hierbei ist die Datenqualität. Sofern eine gewisse Qualität der Daten nicht vorhanden ist, kann der Einsatz von künstlicher Intelligenz nicht funktionieren.
In ihrer Studie zum Thema „Big Data trifft auf künstliche Intelligenz“ definiert die BaFin unter anderem die Qualität und Quantität vorhandener Daten als strategische Voraussetzung für den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Als wesentliche Kriterien werden hierbei die Vollständigkeit, Wahrhaftigkeit, Konsistenz und Aktualität von Daten definiert. (1)
Ein Großteil der Finanzdienstleister beklagt jedoch einen Mangel an Daten für eine Implementierung von AI, dies bestätigte zuletzt eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC). (2) Daher gilt, gründlich zu prüfen, ob wirklich alle nötigen Kunden-, Transaktions- und Produkt-, und Partnerdaten im Bestandsführungssystem eingespielt sind, um beispielsweise eine robotergestützte Prozessautomatisierung einzuführen.
Neben der Datenproblematik ist das begrenzte bzw. fehlende Wissen in der Branche ein weiterer „Showstopper“ bei dem Einsatz von künstlicher Intelligenz im operativen Compliance-Bereich. Laut oben erwähnter Umfrage von PwC gaben 64 % der Teilnehmer an, nicht über die notwendige Kompetenz zu verfügen, um die neuen Technologien implementieren zu können. Dies erschwert auch die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungsprozessen im Rahmen der operativen Compliance, was sich nicht unerheblich auf interne oder externe Audits auswirken kann.
Grundsätzlich billigt die oberste Finanzaufsicht Deutschlands keine algorithmischen Entscheidungsprozesse. Noch vor drei Jahren äußerte sich die BaFin als technologieneutral. (3) In Bezug auf aufsichtsrechtliche Organisations- und Dokumentationspflichten gäbe es keine konkreten Vorgaben darüber, welche Art der Technologie einzusetzen sei.
Eins ist jedoch klar: die klare Verantwortung – und somit auch das Risiko der Haftung – verbleibt bei der Geschäftsleitung. (4) Dies tangiert auch die Funktion des Compliance-Beauftragten, welche neben der Geschäftsleitung ebenfalls einem persönlichen Haftungsrisiko ausgesetzt ist.
Man betrachte beispielsweise das klassisch statistische Verfahren für das Transaktionsmonitoring, welches aktuell auf Basis von regelbasierten Erkennungsszenarien funktioniert. Mit dem Einsatz von Artificial Intelligence im Verdachtsmeldewesen käme es zu einer Reduktion von sogenannten ‚False Positives‘ – Treffer, die am Ende der Analyse zu einem Fehlalarm führen. Das ist eines der Kernargumente vom Einsatz künstlicher Intelligenz im Transaktionsmonitoring. (5)
Wichtig ist es, sich vorher zu überlegen, an welchen Punkten entlang des Verdachtsmeldeprozesses sich der Einsatz von oben genannten Technologien eignet. So kann Robotic Process Automation bei der Aggregation von Daten ein wesentlicher Treiber im Verdachtsmeldeprozess sein, welcher der vorgeschriebenen Unverzüglichkeit in der Fallbearbeitung unterstützend entgegenkommt. Die Investigationen im aktuellen Umfeld des Verdachtsmeldeprozesses sind noch von vielen Insel-Lösungen geprägt. Neben dem Monitoringsystem gilt es meist Informationen aus internen Datenquellen (Archivierungs- und CRM-Systeme) oder aus den gängigen externen Quellen (wie bspw. Google, WorldCheck oder Factiva) zusammenzutragen.
Der Einfluss auf die seit Jahren steigende Anzahl an abgegebenen Geldwäscheverdachtsmeldungen an die Financial Intelligence Unit (FIU) bleibt abzuwarten. (6) Jedoch liegt der Verdacht nahe, dass die Risikoaversion in der Kalibrierung beim Einsatz von künstlicher Intelligenz im Transaktionsmonitoring eher steigen wird. Dies wiederum könnte den ohnehin abzuarbeitenden Backlog an Verdachtsmeldungen bei der FIU noch größer werden lassen. (7)
Abgesehen von den Auswirkungen auf das operative Tagesgeschäft gilt es auch die Tragweite für regulatorische Anforderungen zu betrachten. So könnte mit dem Einsatz von Machine Learning auch die Rolle des Algorithmus-Beauftragten geschaffen werden, welche analog zu der des Datenschutz-Beauftragten anzusehen ist. (8) Oder werden gar neue Verwaltungsanweisungen in Form von „MaAlgo“ (Mindestanforderungen an Algorithmen) veröffentlicht?
(1) „Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen“ (BaFin, 2018).
(2) „Künstliche Intelligenz im Finanzsektor“ (PwC, 2020).
(3) „Generelle Billigung von Algorithmen durch die Aufsicht? Nein, aber es gibt Ausnahmen“ (BaFin Publikation, 2020).
(4) „Big Data und künstliche Intelligenz – Prinzipien für den Einsatz von Algorithmen in Entscheidungsprozessen“ (BaFin, 2021).
(5) „Mit künstlicher Intelligenz Geldwäsche erkennen – bevor sie geschieht“ (KPMG, 2022).
(6) „Jahresbericht 2021“ (Financial Intelligence Unit).
(7) „Wie Deutschland die Geldwäschebekämpfung verschleppt“ (ZEIT ONLINE, 2022).
(8) „Konsultation des Berichts Big Data trifft auf künstliche Intelligenz Ergebnisse und nächste Schritte“ (BaFin, 2019).
Dieser Text ist im Februar 2023 als Beitrag auf der Seite der FCH-Gruppe erschienen.