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Abschaffung des Bargelds – eine Geisterdebatte
Accounting & Finance / 20. September 2016
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Professor für Bank- und Prozessmanagement
Seit 1995 Professor für Bank- und Prozessmanagement an der Frankfurt School. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Strategieentwicklung, Business Engineering und Prozessmanagement in der Finanzbranche. Er ist Autor/Herausgeber von elf Büchern und hat rund 300 Beiträge in akademischen und praxisorientierten Zeitschriften veröffentlicht. Seine Forschungsergebnisse präsentiert er auf Konferenzen im nationalen sowie internationalen Raum.

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Die Regierung (ersatzweise die EZB, „die Banken“ oder schwarze Mächte) will das Bargeld abschaffen! Dieser Panikruf schallt durch Talk-Shows und Gazetten. Demnach gibt es demnächst keine Banknoten und Münzen mehr, sondern nur noch Karten und/oder digitale Endgeräte, mit denen wir alles (!) bezahlen werden. Dann haben wir nichts mehr, was wir unseren Kindern zum Eiskaufen in die Hand drücken können. Auch werden uns die Banken mit Minuszinsen belegen (eigentlich der Staat, der über die EZB für die Niedrigzinsen verantwortlich ist). Wir sollten daher Parteien wählen, die gegen die Abschaffung des Bargelds und am besten gegen den Euro und überhaupt die EU sind!

Wie kommt es nur zu solchen Diskussionen? Weil uns einige US-amerikanische, neokeynesianische Ökonomen (insbesondere Kenneth Rogoff und Willem Buiter) mit ihren wirklichkeitsfremden Vorstellungen beglücken, dass der Staat bei (vollständig) fehlendem Bargeld Minuszinsen für die Haltung von Geld auf Konten durchsetzen kann, lassen wir uns auf diese Scheindebatte ein. Etwas vereinfacht gehen diese Personen davon aus, dass Minuszinsen für alle (Geldhaltung ist dann ja nur digital möglich) den Konsum antreiben und die Deflation verhindern. Das ist weit weg von der Realität. Es würde eine vollständige Digitalisierung von Zahlungen nicht nur in allen EU-Staaten (schon das ist illusorisch), sondern weltweit voraussetzen. Diesen Ökonomen geht es wohl eher darum, im Gespräch zu bleiben und ihren eigenen Marktwert (etwa Rednerhonorare) zu steigern.

Auch in Deutschland tragen Bücher zur Verunsicherung bei („Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen“). Diese Bücher braucht kein Mensch. Sie dienen der Angstmacherei (Verschwörung von Regierungen, staatlichen Geheimdiensten und der internationalen Finanzindustrie) und steigern bestenfalls den Bekanntheitsgrad der Autoren und ihre Honorare.

Gibt es Belege für die (bewusste) Abschaffung des Bargelds? „In Kontinentaleuropa kenne ich niemanden, der die Absicht hat, Bargeld abzuschaffen,“ sagt Bundesfinanzminister Schäuble. Nun muss man Politikern nicht unbedingt glauben. Doch lohnt ein Blick in die Bundesbank-Statistik: Danach steigt der Bargeldumlauf in Deutschland und der Europäischen Währungsunion (EWU) permanent an und liegt heute bei 244 Milliarden Euro in Deutschland und 1.049 Milliarden Euro in der EWU (202 Milliarden Euro in Deutschland und 815 Milliarden Euro in der EWU vor fünf Jahren). Abschaffen sieht anders aus.

„Aber die EZB schafft doch den 500-Euro-Schein ab!“ Damit will man Kriminalität bekämpfen. Ob dieses Ziel mit der Abschaffung einer Banknote erzielt werden kann, ist eine andere Debatte. Die Abschaffung erhöht erst mal die Kosten, da erheblich mehr 100- und 200-Euro-Noten hergestellt werden. Allein die zusätzlichen Druckkosten betragen mehr als 500 Millionen Euro. Für Unternehmen wie Giesecke & Devrient, weltweit größter Produzent von Banknoten, ein gutes Geschäft. Kriminelle dagegen werden auf den 1.000-Schweizer-Franken-Schein zurückgreifen, den die Schweiz gerade erneuert und ab 2018 einführen wird.

„Aber es sollen doch Betragsgrenzen für Barzahlungen eingeführt werden!“ Der Hintergrund hierfür ist ebenfalls die Bekämpfung von Schattenwirtschaft, Geldwäsche und Terrorfinanzierung – an sich lobenswert. Allerdings existieren bereits Betragsgrenzen, etwa in Frankreich, Italien, Portugal, Griechenland, Spanien und der Slowakei. Dummerweise gibt es bis heute keine Studie, die belegt, dass durch Höchstgrenzen Geldwäsche & Co. tatsächlich verringert wird. Es handelt sich eher um ein Placebo für die Bevölkerung („Wir tun etwas!“). Kriminelle finden andere Wege. Große Finanzdelikte laufen schon längst bargeldlos – im Wesentlichen über Scheinfirmen. Italien hat übrigens seine Betragsgrenzen gerade erhöht.

„Aber John Cryan hat doch gesagt, dass Bargeld in zehn Jahren wahrscheinlich nicht mehr existieren wird.“ Bei aller Wertschätzung gegenüber Herrn Cryan, aber auch der oberste Chef der Deutschen Bank macht Äußerungen, die nicht unbedingt zutreffen mögen. Aus dieser Aussage eine „Verschwörung der Banken“ abzuleiten, erscheint doch recht abenteuerlich. In diesem Fall liegt Herr Cryan mit seiner Einschätzung schlicht daneben.

„Aber in Schweden wird das Bargeld abgeschafft!“ Die schwedische Regierung hat verkündet, bis 2030 (!) das Bargeld – die Schwedische Krone – abschaffen zu wollen. Nur ist Schweden (wie Dänemark) kaum mit Deutschland zu vergleichen: Schweden ist kein Mitglied der Euro-Zone, die Menschen sind gegenüber neuen Technologien sehr positiv eingestellt und auch die Haltung zu Datenschutz, Transparenz und Institutionen unterscheidet sich grundlegend. Übrigens ist die schwedische Nationalbank gerade dabei, eine neue Generation von Banknoten und Münzen einzuführen. Wie war das noch gleich mit 2030?

Passiert denn gar nichts? Oh doch, sogar recht viel. Zwar bezahlen die Deutschen im stationären Einzelhandel immer noch am liebsten mit Bargeld (2015: 52,4 Prozent des Umsatzes im Einzelhandel laut EHI). Dieser Anteil sinkt jedoch jedes Jahr (von 2014 auf 2015 um 0,9 Prozent). So lag die Zahlung mit anderen Zahlungsmitteln bei 47,6 Prozent (davon Karten 44,5 Prozent). Der Löwenanteil (37,4 Prozent) entfällt auf die Girocard (frühere ec-Karte). Hinzu kommen Kreditkarten mit 5,7 Prozent. Auch die großen Ketten und Discounter (Aldi Nord und Süd, Lidl, Media-Saturn) akzeptieren nun Kreditkarten, was ihren Einsatz deutlich erhöht. Dabei muss nicht zwingend die klassische Plastikkarte genutzt werden. Beim E-Commerce werden nur die Daten der Karte verwendet und beim M-Commerce wird das Smartphone als „Kartenersatz“ benutzt. Die Verwendung von Smartphones kann z.B. mit QR-Codes oder NFC (Near Field Communication) erfolgen. Die Nutzung von Smartphones dürfte zu weiter steigenden Zahlungen per App führen.

Die im letzten Jahr eingeführte Deckelung der Interbankenentgelte fördert den Einsatz von Unbarzahlungsmitteln, im Wesentlichen also Karten. Für Einzelhändler wird das bargeldlose Bezahlen interessanter – weil günstiger. Banken und Kreditkartenorganisationen hingegen müssen sich mit sinkenden Erträgen im Kartengeschäft abfinden. Da das Bargeldhandling aber teuer ist (Schätzungen gehen von 8 Milliarden Euro in Deutschland aus), wird aus Effizienzgründen immer mehr nach Wegen gesucht, Güter und Dienstleistungen digital bezahlen zu lassen.

Dass der Bargeldeinsatz im Einzelhandel Jahr für Jahr zurückgeht, liegt in der Natur der Sache: Wenn der Zahlungsverkehr digitaler wird, und das ist mit der zunehmenden Technisierung unserer Gesellschaft zwingend verbunden, wird weniger Bargeld benötigt – ein weltweiter Trend. Die Ursachen für einen Rückgang der Bargeldnutzung liegen also in der Verbreitung neuer Technologien und darin, dass Händler und Kunden diese nutzen. Dieser Rückgang wird jedoch, insbesondere in Mitteleuropa, deutlich länger dauern. Gerade in den deutschsprachigen Ländern existiert eine ausgeprägte Kultur der Bargeldnutzung. Auch ist ein Standard für das Bezahlen mit Smartphones bis heute nicht in Sicht. Wir werden also noch viele Jahre lang auf Bargeld zurückgreifen. Fazit: Weder ist eine „Abschaffung“ des Bargelds erkennbar, noch haben sich geheime Mächte verschworen, uns das Bargeld wegzunehmen, wie es uns einige Schwarzmaler glauben machen wollen.

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