Haben Sie sich schon einmal gefragt, was sich wohl aus Ihrem aktuellen Blickwinkel etwa 15 Grad schläfenwärts, auf einem Durchmesser von 1,5-2,2 mm, befindet? Macht es Sie unruhig, nicht sicher ausschließen zu können, ob aus der genannten Richtung eine räumlich kleine, aber nicht zu unterschätzende Gefahr droht? Nein? Dann gehören Sie entweder zur Gruppe der Optimisten, haben Nerven aus Stahl … oder sind sich tragischer Weise gar nicht bewusst, dass Sie in und aus diesem Winkel nichts sehen und wahrnehmen können. Letzteres geht den meisten Menschen so, denn der nicht erfassbare Ausschnitt ihres Blickfeldes wird praktischer- und ästhetischer Weise einfach gefüllt mit dem, was sich darum herum befindet. Diese inhaltliche Lücke tarnt sich damit vollständig und verbirgt ihre Existenz meisterhaft. Die Unkenntnis dieser offenen Flanke schützt also vor Nervosität, aber nicht vor Konsequenzen. Unwissenheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht – erst recht nicht in der Finanzberatung.
Dieser kleine Konstruktionsfehler, der sogenannte „blinde Fleck“, ist im übertragenen Sinne nicht nur in unserem Auge, sondern an vielen Stellen des Lebens zu entdecken: Konsequenter Weise erst dann, wenn das (un)geliebte und unerwartete Ergebnis der unbekannten Variablen eingetreten ist.
Im Finanzleben können die häufigsten Momente der Enttarnung des blinden Fleckes zum Beispiel so klingen:
„Lieber Erblasser, vielen Dank für Ihre testamentarisch selbstgewählte, übergroße Spende in Form einer Erbschaftssteuerzahlung an den Staat. Herzlichst, Ihr Finanzamt“
„Liebe Schwippschwägerin, danke, dass Dein Mann mich auch bedacht hat. Ich freue mich auf die gemeinsame Unternehmensführung und Verwaltung jedes gemeinsamen Vermögensgegenstandes.“
Die hohe Häufigkeit dieser Überraschungsausrufe, die mir sehr bekannt ist, beantwortet sicher die latent gestellte Frage: „Braucht man eigentlich noch Finanzberatung und Finanzplanung?“
Ich beziehe mich auf oben beschriebenen blinden Fleck. Man ahnt bereits: Das Tückische an der Notwendigkeit von Finanzberatung und Finanzplanung ist: In Zeiten von Informationsflut, Robo Advice und ausgefeilten Onlinebanking-Systemen fühlt sich ein jeder gut informiert, Finanzen wirken simpel und beherrschbar und die Existenz von ungeahnten und unbewussten Risiken und Chancen wird getilgt…so ungefähr 15 Grad schläfenwärts.
Meine These: Gerade Kunden, die man gemeinhin als vermögend bezeichnet und/oder in komplexen finanziellen und familiären Verhältnissen leben, tun sehr gut daran, Wechselwirkungen zwischen allen Bereichen ihrer Finanzen und blinde Flecken aufzudecken und darauf aufbauend eine strategische Planung für ihre ganz eigenen, individuellen Ziele erarbeiten zu lassen. Verlebe ich mein hart erarbeitetes Vermögen gerade oder bleibt was für meine Nachkommen? Ist im Fall der Fälle genug Liquidität da oder bricht das hohe, aber illiquide Vermögen in sich zusammen? Erreiche ich wirklich die Versorgung für meinen Ruhestand, den ich mir und meiner Familie wünsche? Habe ich definitiv alle Risiken in meiner Vermögensstruktur im Blick und möglichst im Griff? Sie merken: Ein kurzes Einstreuen weiterer blinder Flecken kann ich mir nun doch nicht verkneifen – jeder Berater wird mich verstehen können.
Mein Fazit: Finanzberatung und Finanzplanung sind weder unnötig noch überholt. Sie sind vielmehr – gerade in Zeiten von Niedrigzinsen, steigenden Volatilitäten am Markt, globalen politischen Risiken und leider sinkender Versorgung in Deutschland – wichtiger und hilfreicher denn je.