Reiner Eichenberger, Rainer Hegselmann und David Stadelmann
Infolge der Corona-Krise leben wir im Ausnahmezustand. Aber wir wollen dringend in die Normalität zurück und brauchen dazu eine robuste Exit-Strategie. Im Gesundheitssystem sind viele Ressourcen (Betten, Beatmungsgeräte, ausgebildetes Fachpersonal, etc.) knapp. Mit der Ausbreitung der Krankheit wächst jedoch eine entscheidende Ressource zur Bewältigung der Krise. Diese Ressource sind die Corona-Immunen. Diese Ressource muss eingesetzt werden. Dafür muss sie zertifiziert, gesucht sowie gefunden werden. Wir diskutieren, wie das gehen kann, widerlegen Einwände gegen unsere Exit-Strategie und reflektieren die epistemische und normative Robustheit unseres Vorschlags.
Allgemein anerkannt ist, dass der Krankheitsverlauf von COVID-19 in vielen Fällen milde ist. Oft treten keine oder fast keine Krankheitssymptome auf (asymptomatischer Krankheitsverlauf). Die vollständige Genesungswahrscheinlichkeit ist für viele Menschen sehr hoch, insbesondere für jüngere und für jene ohne Vorerkrankungen. Wer die Erkrankung überstanden hat, ist nach derzeitigem Kenntnisstand für geraume Zeit weitgehend immun.
Bereits heute gibt es Menschen, die mit Corona infiziert waren und nun immun sind. Sie sind durch ihre Immunität eine wertvolle Ressource im Kampf gegen Corona. Im Gegensatz zu vielen anderen Ressourcen, die im Kampf gegen Corona benötigt werden, wächst diese Ressource über die Zeit mit der steigenden Zahl der wiedergenesenen Erkrankten. Je größer der Bestand an bereits Immunen wird, desto geringer ist die Gefahr für ältere und vorerkrankte Mitbürger, desto geringer ist auch die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens und eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Dies erlaubt eine schnelle, schrittweise Rückkehr in die Normalität ohne weitgehende und dauernde Isolationsmaßnahmen für alle. Die Ressource ist bereits heute viel größer als wir wissen: Immun sind alle, die infiziert wurden, getestet wurden und genesen sind. Immun sind aber auch jene, die die Erkrankung, ohne sie zu bemerken, überwanden und sich nie testen ließen.
Immune Menschen können als „geimpft“ betrachtet werden. Sie können wieder für alle Tätigkeiten eingesetzt werden und können allen sozialen Kontakten wie gewohnt nachgehen. Ihr freiwilliger Einsatz in der Alten- und Krankenpflege ist möglich, ohne dort die besonders anfälligen Menschen zu gefährden. Der sofortige und umfassende Einsatz der Immunen ist deshalb aus volksgesundheitlicher, volkswirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Perspektive sinnvoll. Ihr Einsatz ist für eine Rückkehr in die Normalität höchst relevant.
Um ihre Leistungskraft für sich selbst und für andere voll zu nutzen, müssen Immune sich wieder völlig frei bewegen können. Dafür müssen sie zum einen selbst wissen, dass sie immun sind, und die anderen Menschen sollten sie möglichst von Nicht-Immunen unterscheiden können. Deshalb brauchen sie ein verlässliches Immunitätszertifikat über nachgewiesene Antikörper oder über die Genesung nach überstandener Krankheit. Dieses Immunitätszertifikat dient ihnen als eine Art „Passierschein in die Normalität“ und zertifiziert den Wert der Ressource. Es kann auch als eine Art „Impfpass“ verstanden werden. Die Ausstellung von Immunitätszertifikaten muss nicht nur auf Einheimische beschränkt bleiben. Auch immune Bürger anderer Länder können sie erhalten.
Wie andere wertvolle Ressourcen müssen Corona-Immune intensiv gesucht werden. Dazu braucht es breit angelegte Tests. Zum einen können mit Tests auf Viren derzeit infizierte Personen erfasst werden, von denen man dann weiß, dass sie rund zwei Wochen nach der Infektion und wieder abgeklungenen Symptomen immun sind. Zum anderen können mit Tests auf Antikörper insbesondere Menschen gefunden werden, die nie getestet wurden, aber infiziert waren, keine Krankheitssymptome hatten und nun bereits immun sind. Sie wissen von ihrer Immunität bislang nichts.
Das Finden von bereits immunen Personen wird durch das Immunitätszertifikat erleichtert. Wer zertifiziert immun ist, muss nicht nur keine Angst vor Corona haben, sondern kann wieder einem normaleren Leben nachgehen. Das setzt systematisch Anreize für gesunde Menschen, die vielleicht infiziert waren, aktiv nachzudenken, ob sie möglicherweise nicht doch leichte Krankheitssymptome hatten, wie zum Beispiel Geruchs- und Geschmacksverlust. Eine enge und aktive Kooperation mit den Behörden zum Erhalt des Immunitätszertifikats ist für sie lohnend. Gleiches gilt für Kranke mit milden Symptomen, die sich derzeit aus Angst vor drohender Quarantäne und Stigmatisierung oft nicht melden.
Bis es entweder eine effektive Behandlung oder eine Impfung gibt, werden die bereits Immunen die entscheidende Ressource im Kampf gegen Corona sein. Der weltweit effiziente Einsatz, die Suche und das Finden sowie die glaubwürdige Zertifizierung dieser Ressource sind gesamtgesellschaftlich von hoher Bedeutung. Das gilt selbst dann, falls die heutigen Maßnahmen der Regierungen wegen ihrer gesamtgesellschaftlichen Kosten oder einer geänderten Einschätzung der Gefährlichkeit von Corona bald gelockert werden. Denn Corona wird auch dann für ältere oder gesundheitlich vorbelastete Menschen weiterhin gefährlich sein. Immunitätszertifikate werden deshalb für im Gesundheitswesen Beschäftigte sowie für national und international Reisende von Bedeutung bleiben. Immune als Ressource zu verstehen, ist entscheidend, denn es erlaubt einen produktiv-kreativen Perspektivenwechsel! Der sofortige Einsatz dieser Ressource erlaubt einen geordneten Weg zurück in die Normalität und einen schrittweisen, allgemeinen Abbau der derzeitigen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Virus.
Den vollständigen Aufsatz können Sie hier abrufen.