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M&A zwischen Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg
Weiterbildung / 18. Mai 2022
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Prof. Dr. Christoph Schalast lehrt Rechtswissenschaften, insbesondere Mergers & Acquisitions und Europarecht, an der Frankfurt School. Er ist zudem Mitbegründer und Direktor des Frankfurt Institute for Private Equity and M&A (FIPEMA).

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Der M&A-Markt wurde in den letzten zwei Jahren durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg mit zwei Ereignissen konfrontiert, die ihn wie auch die Wirtschaft und Gesellschaft enorm getroffen haben. Auftakt war der erste Corona-Lockdown ab März 2020. Der bis dahin seit Jahren stabile Markt für Unternehmensübernahmen wechselte in den Stillstand. Transaktionen wurden gestoppt, Bewertungen hinterfragt und bei der Gestaltung von Unternehmenskaufverträgen kamen plötzlich Themen wie Earn out oder Rücktrittsklauseln = Material Adverse Change Clauses auf den Tisch.

Infolge der Corona-Pandemie mussten Geschäftsmodelle neu bewertet werden. Überraschenderweise funktionieren bestimmte Online-Geschäftsmodelle, die Angesichts der Pandemie entstanden sind, sogar besser. Der daraus resultierende Innovationsschub sorgte für dynamisch wachsende Unternehmen. So kam es beispielsweise in Deutschland zu einer schlagartigen Zunahme von Unicorns, was auch den Markt für Börsengänge im letzten Jahr beeindruckend belebte.

All dies passierte im vierten Quartal 2021: Es gab genug Ansätze, um darüber nachzudenken, inwieweit eine Pandemie zu einer M&A-Welle führen könnte. Die Aussichten für 2022 waren ausgezeichnet. Doch dann kam der Ukraine-Krieg am 24. Februar 2022. Historisch gesehen hatten lang dauernde Kriege das Geschäft mit M&A keine signifikanten Auswirkungen. Dies ist jetzt anders. Zwei Ebenen sind klar zu unterscheiden: M&A mit Bezug zu Russland und der weltweite M&A-Markt während der russischen Invasion.

Trotz der beeindruckenden russischen Devisen-Reserven sind grenzüberschreitende Unternehmensübernahmen mit russischen Beteiligten seit 2014 weitgehend unbedeutend. Die Annexion der Krim und die damals verhängten Sanktionen haben Deals für internationale Akteure weitgehend unattraktiv gemacht.

Verschärfte Kontrolle

Die Außenwirtschaftskontrolle in allen Mitgliedstaaten der EU wurde seit 2014 und noch einmal seit Anfang 2020 darüber hinaus massiv verschärft. Auch dies hat Transaktionen zunehmend komplizierter, kostspieliger und damit unwahrscheinlicher gemacht. Zudem kommt noch aktuell hinzu, dass große internationale Rechtsanwaltskanzleien alle angekündigt haben, ihre Büros in Moskau oder Sankt Petersburg zu schließen. Selbst wenn man also eine nicht sanktionsbewehrte Transaktion durchführen möchte, fehlt es den Beteiligten nunmehr an Berater:innen. Auch kommt hinzu, dass im Hinblick auf Geldwäsche, Ultimate Benificial Owner etc. und angesichts des starken und informellen Staatseinflusses vielfach schwer rechtsverbindlich abzuklären ist, ob ein Unternehmen oder ein/e Unternehmer:in unter die darüber verschärften Sanktionsregime fällt. Zu allem Überfluss kommen die derzeit unkalkulierbaren Reputationsrisiken für Geschäftsaktivitäten in oder mit Russland hinzu. All dies wird dazu führen, dass Transaktionen mit russischen Beteiligten noch einmal stark zurückgehen, möglicherweise überhaupt keine Rolle mehr auf dem internationalen M&A-Markt spielen werden. Geschäftsaktivitäten in Russland könnten, wie etwa Zweigniederlassungen oder Joint Ventures, im Prinzip nicht russische M&A-Transaktionen in Frage stellen. Technisch ist dies ein lösbares Problem, man kann das Geschäft in Russland abspalten – quasi aus der Transaktion herausnehmen –, um damit Genehmigungen der derzeit schwer berechenbaren nationalen Kartell- und Außenwirtschaftsbehörden „aus dem Spiel“ zu nehmen. Dies ist eine Taktik, die in der Vergangenheit bei „schwierigen Jurisdiktionen“ funktioniert hat. Das Kernproblem für den M&A-Markt in den nächsten Monaten ist aber, wie er auf die Vielzahl von „negativen“ äußeren Einflüssen reagiert. Schon vor dem Krieg stieg die Inflationsrate signifikant an, und jetzt kommen Unterbrechungen von Lieferketten, massive Preiserhöhungen etwa bei Energie oder Getreide und steigende Zinsen hinzu.

Stillstand oder grundlegende Veränderungen?

Insoweit stellt sich die Frage, wie und ob Unternehmensübernahmen und Börsengänge angesichts einer vielfältigen Unsicherheit der richtige Weg sind. Dabei waren gerade die zahlreichen ökonomischen und politischen Börsengänge von Spacs über große Strategen wie Daimler Trucks bis zu spannenden Unicorns ein wichtiger Bestandteil des M&A-Markts 2021. Aktuell bleibt jedoch unklar, ob der Markt jetzt nur in einem Ruhestand ist oder aber ob wir vor einem grundlegenden Einschnitt, einer Veränderung stehen. Wie also funktionieren Innovation und externes Wachstum im Zeitalter eines Krieges? Vieles spricht dafür, dass sich der M&A-Markt im ersten Halbjahr 2022 massiv verändert hat.

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