Risikoforscher haben seit jeher einen realistischeren Blick auf die Verwundbarkeit von Geschäftsmodellen als die Führungskräfte im Unternehmen selbst. Dagegen sind es die Führungskräfte, die deutlich chancenorientierter in die Zukunft schauen. Manchmal orientieren sich diese Chancen jedoch an der kurzfristigen Umsetzbarkeit und Wirkung, nicht an dem Ziel von nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen. So verstanden kann man die Krise auch als deutliches Signal verstehen, das Unternehmen grundsätzlich besser aufzustellen. Die Krise ist eine Chance, jetzt (endlich) die größere (meist notwendige) Transformation anzugehen. Digitalisierung ist ein Beispiel dafür, dass noch mehr möglich und in einigen Branchen und Bereichen auch sinnvoll ist, als das, was bis dato umgesetzt wurde.
Tatsächlich lassen sich operative Maßnahmen und strategische Positionierung gut kombinieren, wenn die Führungskräfte und die Belegschaft gerade über Potenziale nachdenken. Denn Ideen lassen sich sowieso nicht auf Kommando erzeugen und erst recht nicht nur auf ein bestimmtes Ziel hin einschränken. Es lohnt sich, das Momentum der Krise zu nutzen.
Voraussetzung dieser Überlegungen ist, dass der Krisenmodus als solcher klar abgegrenzt wird: „Business as Usual“ ist nicht erlaubt, die Nutzung des kreativen Potenzials ist gefordert, jede Idee ist zunächst willkommen. Doch in manchen Unternehmen gibt es immer nur Krise, weil jede Abweichung vom Plan zu „operativer Hektik“ führt. Und manche Unternehmen kennen überhaupt keine Krise, weil man sich an den Zustand geringer Profitabilität und fehlenden Wachstums gewöhnt hat. Beides ist nicht gut; daher sollte jedes Unternehmen für sich auch eine passende und klare Definition des Begriffes Krise haben und diesen nicht erst in der Krise entwickeln. So kann ein in diesem Zusammenhang festgelegter Krisenmodus aktiviert werden, sobald der Krisenzustand eintritt.
Um wirksam Veränderungen verankern zu können, braucht man die Bereitschaft der Beteiligten und Betroffenen dazu; man spricht im Change-Management auch von einer „Unfreeze“-Phase. Solange das Geschäft „befriedigend“ läuft, ist die Bereitschaft zu größeren Veränderungen häufig begrenzt oder lässt sich nur mit vergleichsweise hohem Aufwand erreichen. Hier helfen Krisensituationen, denn die Bereitschaft wird durch die Einsicht, dass Veränderungen notwendig und sinnvoll sind, unterstützt.
Und auch die Kreativität wird in der Krise unterstützt, denn an der Beseitigung einer realen unhaltbaren Situation mitzuwirken, entfaltet zusätzliches Potenzial. Hier bedarf es lediglich der Etablierung von Innovationsprozessen, die über das klassische „Verbesserungswesen“ hinausgehen. Wer sind beispielsweise die Gestaltungswilligen im Unternehmen – über alle Hierarchieebenen hinweg? Wie können diese am Strategieprozess in der Krise beteiligt werden? Wie können heterogene Kompetenzen genutzt werden, Auswege aus der Krise und neue Wettbewerbsvorteile zu erreichen? Mindestens diese Fragen sollten beantwortet werden. Interessanterweise sind diese Fragen auch Teil grundsätzlicher Strategieprinzipien, die auch in der Krise ihre Gültigkeit behalten.
Die klassische Krisenbewältigung fokussiert nur auf einen schnellen Erfolg, selten auf eine längerfristige Perspektive. Warum sollten die besten Mitarbeiter einem Unternehmen die Treue halten, dass nur bis zum Ende der Krise schaut? Selbst wenn das Unternehmen so aus der Krise kommt, ist doch eine weitere Erosion des Geschäftes wahrscheinlicher geworden.
Fazit: Der Weg aus der Krise ist nur mit einem Strategieprozess nachhaltig zu bewältigen und dieser muss den Besonderheiten der Krisensituation gerecht werden.