Krisen – nicht nur, aber auch eine Pandemie – führen uns häufig vor Augen, dass die Werkzeuge und Verfahren, die wir zur Analyse und Quantifizierung von Risiken einsetzen, oft nur innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen funktionieren. Sind diese Rahmenbedingungen nicht mehr gegeben und bewegen wir uns außerhalb des Normalzustands, verlieren etwa Kennzahlen, die üblicherweise zur Analyse der Kreditwürdigkeit eines Unternehmens eingesetzt werden, im besten Fall an Trennkraft, im schlimmsten Fall werden sie vollkommen wert- und aussagelos.
In solchen Ausnahmesituationen kommt der Analyse der Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen eine besondere Bedeutung zu. Zum einen, weil staatliche Eingriffe (negative in Formen von erzwungenen Schließungen, positive in Form von finanziellen Hilfen und Liquiditätsspritzen) das Zahlenwerk der Unternehmen kräftig durcheinanderwirbeln und so deren Interpretation und Analyse erheblich erschweren. Andererseits, weil eine solche Krise gesellschaftliche Transformationsprozesse beschleunigt und damit Konsum-, Spar- und Investitionsverhalten in kurzer Zeit nachhaltig verändert.
Auch Geschäftsmodelle gesunder Unternehmens können so stark betroffen sein, dass kurz- bis mittelfristig deren Existenz gefährdet ist. Der Blick muss sich deshalb in solchen Phasen bei der Analyse der Kreditwürdigkeit vom Unternehmen und dem unmittelbaren Wettbewerb lösen und sich verstärkt der Frage widmen, ob die Kundenbedürfnisse, die das Unternehmen befriedigt, in naher Zukunft überhaupt noch existieren bzw. weiterhin befriedigt werden können.
Bei der Beantwortung der Frage, ob das Geschäftsmodell eines Unternehmens unter neuen Rahmenbedingungen noch tragfähig ist, helfen sogenannte Umfeldanalysen. Sie nehmen ganz gezielt die Veränderungen der gesellschaftlichen, technologischen, ökologischen, gesetzlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen unter die Lupe und analysieren deren Auswirkungen auf das Geschäftsmodell. So werden Risiken identifiziert, die beispielsweise mit Blick auf die Absatzmärkte, die Lieferketten, die Verfügbarkeit von Ressourcen schlagend werden. Identifizierte Risiken sind an das Management zu adressieren, um zu klären, inwieweit das Unternehmen in der Lage ist, auf das Eintreten der Risiken zu reagieren, neue Kundengruppen zu erschließen und Lieferengpässen flexibel entgegenzutreten.
Neben der Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells und damit der zukünftigen Profitabilität des Unternehmens muss berücksichtigt werden, dass auch die Liquiditätssituation des Unternehmens durch veränderte Rahmenbedingungen betroffen sein kann. Hat die Pandemie beispielsweise zu Produktionsausfällen geführt, weil Vorprodukte oder Rohstoffe durch Shutdowns oder Hemmnisse des internationalen Handels nicht mehr verfügbar waren, werden viele Unternehmen sich zukünftig zu einer umfangreicheren Lagerhaltung entschließen. In anderen Branchen werden die Erfahrungen in der Pandemie dazu führen, dass Lieferanten keine oder nur noch sehr kurze Zahlungsziele einräumen. Daraus entstehen bei den Unternehmen veränderte, vielfach deutlich höhere Liquiditätsbedürfnisse, die in der Kreditanalyse zu berücksichtigen sind.
Krisen historischen Ausmaßes wie die gerade erlebte Pandemie und die damit einhergehende Ungewissheit erfordern eine Ergänzung der klassischen Verfahren zur Kreditanalyse. Qualitative Analysen und Szenariotechniken gewinnen an Bedeutung, weil Zusammenhänge, die in der Historie gemessen werden konnten durch Strukturbrüchen nicht mehr oder nur eingeschränkt gültig sind. Wer sich in dieser Phase intensiv mit der Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells eines Unternehmens beschäftigt, hat in der Bonitätseinschätzung den entscheidenden Vorteil. Für zuverlässige Prognosen und sichere Investitionsentscheidungen ist also Expertenwissen der Unternehmensbewertung, Liquiditätsanalyse und Risikobewertung erforderlich. Die Frankfurt School bietet zu diesem Thema den Zertifikatsstudiengang Credit Officer an. Kompetenzen zur profunden Kreditanalyse speziell bei Geschäftskunden vermittelt der Kurs Kreditanalyst Geschäftskunden.