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Was haben Geschäftsprozesse mit Burnout zu tun?
Research & Advisory / 25. August 2025
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Professor für Bank- und Prozessmanagement
Seit 1995 Professor für Bank- und Prozessmanagement an der Frankfurt School. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Strategieentwicklung, Business Engineering und Prozessmanagement in der Finanzbranche. Er ist Autor/Herausgeber von 14 Büchern und hat rund 300 Beiträge in akademischen und praxisorientierten Zeitschriften veröffentlicht. Seine Forschungsergebnisse präsentiert er auf Konferenzen im nationalen sowie internationalen Raum.

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Unternehmen stehen heute unter permanentem Druck, ihre Produktivität zu erhöhen. Die Einführung neuer Anwendungssysteme, neue Kennzahlen zur Leistungsmessung oder die Zentralisierung von Unternehmenseinheiten steigern zwar den Output, doch sie führen auch zu wachsender psychischer Belastung der Mitarbeitenden. Dauerhafte Überlastung kann in Burnout und anderen mentalen Überlastungen münden, was langfristig die Motivation, Gesundheit und Bindung der Beschäftigten gefährdet. Burnout ist nach WHO ein arbeitsbezogenes Phänomen infolge chronischen Stresses und nicht allein ein individuelles Problem. Dennoch wird in vielen Unternehmen ignoriert, dass mentale und emotionale Erschöpfung überwiegend eine Folge mangelhafter Gestaltung der Arbeitsprozesse ist. Dieses Defizit findet sich in Unternehmen aller Branchen und Größenordnungen.

Das Prozessmanagement hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte durch Methoden wie Lean Management, Six Sigma oder Business Reengineering gemacht. Auch haben Technologien wie ERP-Systeme, Cloud Computing bis hin zu Künstlicher Intelligenz (KI) große Effizienzgewinne ermöglicht. Vernachlässigt wurde jedoch die Berücksichtigung psychologischer Ressourcen (Zeitdruck, Konflikte mit anderen Personen, Jobunsicherheit usw.) und physiologischer Ressourcen (Schichtarbeit, Gesundheitsrisiken usw.) der Mitarbeitenden. Technologien wie KI produzieren zwar mit hoher Geschwindigkeit eMails und Rechnungen, werden aber kaum genutzt, um zu verstehen, wie es den Mitarbeitern und Führungskräften geht. Dabei gibt es Möglichkeiten, z.B. zur Analyse von Emotionalität mithilfe von KI (so kann ChatGPT sogar Sarkasmus in Schriftstücken und eMails erkennen). Aus der Nichtbeachtung psychologischer Arbeitsressourcen resultiert, dass den Unternehmen die mentalen, teils schwerwiegenden Probleme nicht bewusst sind – sowohl auf der Ebene von Mitarbeitenden als auch bei Führungskräften. Nötig ist ein neuer Ansatz: ein menschenzentriertes Prozessmanagement, das Produktivität mit dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden verbindet.

Für einen solchen Ansatz lassen sich drei zentrale Prinzipien formulieren:

  1. Prozessgestaltung muss Human-centric by Design sein

Prozesse müssen von Anfang an mit dem Fokus auf den Menschen gestaltet werden. Zwar werden Menschen durchaus als eine Komponente des Prozessmanagements verstanden, doch deren Einbindung bleibt bislang vage. Bislang dominiert eine Sicht auf Menschen, die sich in der Berechnung von Mitarbeiterkapazitäten (Full-Time Equivalents, FTE) ausdrückt. Zukünftig sollten Bedürfnisse und Stärken integraler Bestandteil des Prozessdesigns sein. Das bedeutet, dass psychologische Präferenzen ebenso berücksichtigt werden wie physiologische Faktoren. Damit entstünde eine maßgeschneiderte Prozessgestaltung, die auf den Stärken der Individuen aufbaut, statt diese dem Prozess anzupassen. Daraus ergeben sich vielfältige Forschungsfragen: Wie lassen sich psychologische Aspekte systematisch einbeziehen? Gibt es Unterschiede zwischen Geschlechtern, Rollen oder Teams? Welche Konsequenzen hat ein human-zentrierter Ansatz für individuelles versus teambasiertes Prozessdesign?

  1. Technologieeinsatz unter Berücksichtigung der Mitarbeitenden

Neue Technologien sollen nicht nur dazu dienen, Aufgaben zu beschleunigen, Mitarbeitende auf ertragreichere Teile der Wertschöpfungskette zu verschieben oder die Frequenz der Arbeitsvorgänge zu erhöhen. Vielmehr sollten sie genutzt werden, um Arbeitsaufgaben besser mit den psychologischen und physiologischen Ressourcen der Beschäftigten abzustimmen. Die Integration von Wahrnehmungen, Denkweisen, Neigungen und der natürlichen Talente der jeweiligen Person bezüglich bestimmter Aktivitäten in einem Prozess kann sowohl die Arbeitsqualität erhöhen als auch das emotionale Klima verbessern. Man muss hier natürlich zwischen dem Wunsch, das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu erhöhen, und dem Eingriff in die Privatsphäre abwägen. Auch hier gibt es Forschungsfragen: Inwiefern kann Technologie helfen, Bedürfnisse der Mitarbeitenden und Produktivitätserwartungen des Unternehmens in Einklang zu bringen? Sind neue Technologien eher Lösung oder Ursache für Überlastung?

  1. Innovation statt bloßer Verbesserung bestehender Prozesse

Die bisherigen technologischen Entwicklungen zielten überwiegend auf Effizienzsteigerung durch Beschleunigung bestehender Abläufe ab. Chatbots, soziale Medien und Smartphones erleichtern Kommunikation, steigern aber zugleich die Arbeitsdichte und reduzieren echten menschlichen Kontakt. Daher benötigen wir statt „Verbesserung“ bestehender Prozesse eine grundlegende Prozessinnovation, die Arbeitsabläufe neu denkt – ausgerichtet auf die psychologischen Bedürfnisse der Menschen. Diese Innovation bedeutet nicht nur, bestehende Prozesse schneller zu machen, sondern qualitativ andere Formen von Zusammenarbeit und Arbeitsorganisation zu schaffen. Dabei stellen sich u.a. diese Fragen: Wie können neue Prozesse entwickelt werden, die individuelle Bedürfnisse berücksichtigen? Können Methoden wie Design for Six Sigma für menschenzentrierte Prozessinnovation genutzt werden? Können in einer Übergangsphase die alten Prozesse weiter betrieben werden?

Fazit

Burnout und mentale Überlastungen nehmen in Unternehmen auf allen Hierarchieebenen zu. Sie gefährden langfristig nicht nur die Gesundheit, sondern auch den Unternehmenserfolg. Daher ist es dringend geboten, psychologische und physiologische Aspekte systematisch mit wirtschaftlichen Erfordernissen zu verbinden. Die Methoden des klassischen Prozessmanagements bieten hierfür eine gute Basis, reichen aber nicht aus. Es besteht daher dringender Bedarf an weiterer Forschung. Weder reine Effizienzsteigerung auf Kosten der Mitarbeitenden noch eine Wohlfühloase ohne Produktivitätsanspruch sind die Lösung. Die Zukunft liegt in einer Balance beider Pole. Ein menschenzentriertes Prozessmanagement, das technologische Potenziale konsequent einsetzt, ermöglicht diese Balance – vorausgesetzt, Unternehmen sind bereit, ihre Prozessgestaltung grundlegend zu überdenken.

 

Zu diesem Thema empfehlen wir den etwas ausführlicheren Text „Schneller, höher, weiter? Ideen zur zukünftigen Gestaltung des Prozessmanagements“ auf der Plattform Schmalenbach IMPULSE sowie das von Prof. Dr. Moormann und Prof. Dr. Bogodistov geschriebene Buch „Process Management and Burnout Prevention“, das bei Palgrave Macmillan erschienen ist.

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